Solch ein Gewimmel hat es im Stadtmuseum in Halle schon lange nicht mehr gegeben. Gut 100 Leute waren gekommen, um die früheren HFC-Fußballer Norbert Nachtweih und Burkhard Pingel bei einer Veranstaltung zum Thema „Geflüchtete DDR-Fußballer“ der Friedrich-Ebert-Stiftung zu erleben. In einer Gesprächsrunde erinnerten sich die beiden heute 66-Jährigen an den 16. November 1976, der einen Einschnitt in ihrem Leben und ihrer Karriere bedeutete. An jenem Tag entschloss sich Nachtweih – zusammen mit dem HFC-Torwart Jürgen Pahl – ein Spiel der Nachwuchsauswahl der DDR in der Türkei zu nutzen, um sich in den Westen abzusetzen, während Pingel nach Halle zurückkehrte. Die beiden Blondschöpfe des HFC Chemie, die sich zum Verwechseln ähnlich sahen und daher als „Fußball-Zwillinge“ galten, ließen die dramatischen Ereignisse von damals nochmal Revue passieren. Und sie schilderten, wie es ihnen danach ergangen ist, wobei jeder auf seine Weise mit seiner Entscheidung am Ende zufrieden war. Burkhard Pingel absolvierte bis 1983 beim HFC Chemie insgesamt 159 Einsätze. Mit der U 21-Auswahl der DDR wurde er 1978 sogar noch Vize-Europameister. Nach dem Ende seiner Laufbahn schloss der Abwehrspieler ein Sportstudium ab, so dass er als Trainer arbeiten konnte.

Norbert Nachtweih wurde im Westen ein erfolgreicher Profi-Fußballer. Allein mit Bayern München wurde er in den 1980er Jahren vier Mal Deutscher Meister, zweimal DFB-Pokalsieger und zweifacher Supercup-Gewinner. Beide gaben auch manche lustige Episode zum Besten. Beim Gang über die Leipziger Straße wurden bei ihnen viele Erinnerungen wach an eine „wilde Jugendzeit“, als sie noch gemeinsam mit Edeltechniker Wolfgang Schmidt im damaligen HFC-Casino in der Martinstraße wohnten. „Es stimmt schon traurig, was aus dem Gebäude geworden ist“, beklagte Burkhard Pingel. Er wohnt heute in der Nähe von Halle, als Rentner verbringt er aber viel Zeit in seinem Domizil an der Ostsee. Beide Fußballer stehen exemplarisch dafür, wie unterschiedlich eine Karriere im geteilten Deutschland verlaufen ist. Einig waren sich beide aber in einem: Die Bundesliga war nicht besser und stärker als die DDR-Oberliga. Halt nur erfolgreicher.

Norbert Nachtweih lebt mit seiner zweiten Frau und einem Dackel in der Nähe von Frankfurt, dort, wo er in der Fußballschule von Charly Körbel seine Brötchen verdient. Der schussgewaltige Rechtsbeiner hat in seiner Profikarriere insgesamt 325 Bundesligaspiele für Frankfurt und Bayern bestritten und dabei 46 Tore erzielt. Sein Markenzeichen waren Schüsse aus der Distanz. „Weil ich keine Lust hatte, bis in den Strafraum zu laufen, habe ich einfach aus 30 Metern abgedrückt“, verriet er augenzwinkernd sein Erfolgsrezept. Für beide gab es an diesem Abend auch ein Wiedersehen mit ihrem ehemaligen HFC-Trainer Helmut Wilk, der als Torwart 1962 mit dem SC Chemie Halle den DDR-Pokal gewann. „Er hat uns ganz schön gescheucht, doch davon habe ich in der Bundesliga profitiert“, zollt Nachtweih seinem früheren Trainer bis heute großen Respekt.

Nach dem Ende der unterhaltsamen Gesprächsrunde nutzten viele Zuhörer die Gelegenheit, um sich Autogramme zu holen und Fotos mit den beiden früheren HFC-Fußballern zu machen. Übrigens kommt Norbert Nachtweih am 1. Juli mit einer Auswahl ehemaliger Bundesligaspieler zum 100. Jubiläum seines Heimatvereins nach Polleben bei Eisleben, wo er aufgewachsen ist.