Vor 30 Jahren feierte Torsten Ziegner ohne Radio und Fernsehen seinen zwölften Geburtstag. Dass an diesem Tag eine historische Stunde schlug, bekam der HFC-Coach erst am folgenden Morgen mit. Auch bei seinem Co-Trainer Michael Hiemisch herrschte damals „Funkstille“.

Auf den ersten Blick war alles wie immer, als Torsten Ziegner in Neuhaus am Rennweg seinen zwölften Geburtstag feierte. Die Großeltern, Tanten und andere Verwandte waren an jenem Donnerstag gekommen. Sie brachten Geschenke mit und saßen dann mit dem Geburtstagskind bei Kaffee und Kuchen zusammen. Auch Abendbrot wurde gemeinsam gegessen, ehe sich die fröhliche Runde auflöste. „Bei unseren Familienfeiern war es üblich, dass kein Fernseher und kein Radio lief“, erinnert sich der heutige HFC-Trainer an diesen Tag zurück. Durch die „Funkstille“ mitten im Thüringer Wald verpasste die Familie ein historisches Ereignis: Denn die Feier fand am 9. November 1989 statt – also an jenem Datum, als die Mauer fiel. „Davon haben wir an meinem Geburtstag nichts mitbekommen“, erzählte der Coach, der heute 42 wird, dem „Chemiker“.

Erst am Tag darauf erfuhr die Familie, was am 12. Geburtstag von Torsten Ziegner passiert war. „Mein Vater wurde auf Arbeit gefragt, wann er denn in den Westen fahre wolle und er dachte zuerst, man wolle ihn auf die Schippe nehmen“,  so der Fußball-Lehrer. Er muss immer noch schmunzeln, wenn er sich die komische Situation vorstellt. Am Wochenende darauf machte sich die Familie nach Coburg in Bayern auf, „das ja nicht weit weg von uns lag“, um das Begrüßungsgeld in Höhe von 100 D-Mark, das jeder DDR-Bürger bekam, einzulösen. „Ich habe mir einen Kassetten-Recorder mit Doppelkassettendeck gekauft“, weiß Torsten Ziegner noch ganz genau. Das Gerät, das damals viele Jugendliche begehrten, kostete 99 D-Mark. Wann er sein erstes Bundesliga-Spiel live gesehen hat, kann „Ziege“ nicht sagen. „Das könnte in Nürnberg oder Frankfurt gewesen sein, die Spielorte lagen noch am nächsten von uns entfernt“, glaubt er.

Mit seinem Vater, der auch für Werder Bremen Sympathien hegte, ist er als Kind immer mal wieder zu DDR-Oberligaspielen nach Jena gefahren. Und als der talentierte Fußballer von der BSG Mikroelektronik Neuhaus mit 14 Jahren auf die Sportschule wechseln sollte, ging Torsten Ziegner dorthin und nicht nach Erfurt. „Dazu gab es für mich keine andere Alternative“, so der Thüringer, der ab 2004 in Jena auch seine erfolgreichste Zeit als Spieler erlebte. Mit Carl Zeiss gelang ihm der Durchmarsch von der NOFV-Oberliga bis in die 2. Bundesliga. Er spielt auch in Mainz und Stuttgart. Davon konnte der ehrgeizige Fußballer nur träumen, bis sich vor 30 Jahren ungeahnte Möglichkeiten für ihn ergaben. Nicht alle kamen mit den neuen Verhältnissen klar. Auch sein  Idol Jörg Stübner von Dynamo Dresden, der 47 Spiele für die DDR-Nationalmannschaft bestritt, fand nach der Wende – anders als seine ehemaligen Mitspieler Ulf Kirsten und Matthias Sammer – nie mehr zu alter Stärke zurück. Eines der größten Fußball-Talente des Ostens starb im Juni dieses Jahres einsam in seiner Wohnung in Dresden im Alter von 53 Jahren. „Um ihn tut es mir besonders leid. Mir hat seine Spielweise im Mittelfeld immer sehr gefallen“, so der HFC-Coach.

Als Torsten Ziegner den Mauerfall „verschlief“, tappte auch sein Co-Trainer Michael Hiemisch im Dunkeln. Der damals 19-Jährige war in jenen historischen Herbsttagen als Kraftfahrer bei einer Nachrichten-Einheit der Nationalen Volksarmee in Zittau stationiert. „Wir durften ja kein Westfernsehen schauen und erfuhren dadurch kaum etwas über die überraschenden Vorgänge an der Grenze“, blickt er auf die angespannte Zeit zurück, als noch Wehrpflicht herrschte und sich beide deutschen Staaten feindlich gegenüberstanden. „Wir waren in Gefechtsbereitschaft versetzt worden und durften auch nicht in Urlaub fahren“, weiß er noch. Der Grund dafür waren die Geschehnisse um die Prager Botschaft, in der einige Tausend DDR-Flüchtlinge ausharrten, die  ausreisen wollten. Das durften sie schließlich, allerdings mussten die Züge über Dresden rollen. „Uns war damals ganz schön mulmig zumute, weil niemand wusste, ob wir wirklich eingreifen sollten, was zum Glück nicht geschah“, so Michael Hiemisch. Acht Wochen nach dem Mauerfall konnte auch er erstmals in den Westen reisen. „Ich habe mir eine Kompakt-Anlage mit Hifi-Turm geholt“, erinnert sich der Vogtländer, der mit Ziegner ein kongeniales Trainergespann bildet. 

Auch HFC-Präsident Jens Rauschenbach, der in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag feierte, steckte damals als Wehrpflichtiger in einer NVA-Uniform. Während eines Urlaubs fuhr er nach Hof, um sich einen langgehegten Wunsch zu erfüllen. „Ich kaufte mir einen Walkman und eine Doppelkassette von den Toten Hosen“, so der gebürtige Altenburger. Auf einen CD-Player hatte es Heiko Portius vom Fanclub der Merseburger Raben abgesehen. Er war schon damals Diskjockey, für den sich mit dem Mauerfall eine völlig neue Welt eröffnete. Da seine damalige Frau am 27. Oktober eine Tochter geboren hatte,  musste er allerdings noch eine Weile warten. Kurz vor Weihnachten 1989 sind sie nach Bad Hersfeld in Hessen gefahren, um das Begrüßungsgeld auszugeben. Da fielen auch noch zwei CDs mit Songs von Lisa Stansfield und mit einem Party-Mix ab. Ursprünglich wollte sich das Ehepaar auch in die Prager Botschaft absetzen. „Doch meine Frau war hochschwanger und da wollte wir nichts riskieren“, so der Merseburger. Er lief damals  mit seiner Frau, die in Leipzig wohnte, bei den Demonstrationen auf dem Ring der Messestadt mit. „Das war live erlebte Weltgeschichte“, denkt Heiko Portius gerade in diesen Tagen oft an den aufregenden Herbst des Jahres 1989 zurück. Als Stadionsprecher wird er sicher heute am Jubiläumstag des Mauerfalls auch Torsten Ziegner zum 42. Geburtstag gratulieren.