Solch ein Gedränge hat es bei der neuen Ausstellung zur Geschichte des HFC noch nicht gegeben. Aus allen Himmelsrichtungen waren am Donnerstag Scharen von Besuchern ins Stadion geströmt, um Dariusz Wosz (54) und Steffen Karl (53) zu erleben. Kein Wunder, dass solch ein Andrang herrschte, schließlich waren die beiden einst begnadete Fußballer, bei denen die Fans der Rot-Weißen noch heute mit der Zunge schnalzen, wenn ihre Namen genannt werden. Und ihr Kommen hat sich wohl für alle gelohnt. Denn die ehemaligen HFC-Spieler plauderten in einer lockeren Talk-Runde frank und frei aus dem Nähkästchen. Und zu erzählen hatten die beiden ehemaligen Bundesligaprofis, die auch immer wieder zu Späßen aufgelegt waren, zur Genüge. So zum Beispiel, dass die deutschstämmige Familie von Wosz Anfang der 1980er Jahre aus dem Kattowitzer Kohlerevier in Polen nur in die DDR umsiedeln durfte, weil sein Onkel in Halle eine Gärtnerei betrieb. Da war Dariusz gerade elf Jahre alt und verstand kein Wort Deutsch.

Einige Jahre zuvor war auch Steffen Karl, der in Hohenmölsen geboren wurde, mit seiner Familie, die in dem kleinen Dorf Gröben lebte, nach Halle-Neustadt umgezogen. Die etwa gleichaltrigen Kinder kamen bei Empor Halle unbewusst zum ersten Mal miteinander in Berührung, ehe die Späher des HFC die hoffnungsvollen Talente kurz darauf zum Klub holten. Damit begann für die beiden fußballbegeisterten Jungen eine beachtliche Karriere, die beide Mittelfeldspieler bis auf die europäische Fußball-Bühne führte. Doch der Weg dahin verlief völlig unterschiedlich und war vor allem für Steffen Karl mit einigen Irrungen und Wirkungen verbunden. Am 2. April 1988 standen sie beim torlosen Remis gegen Lok Leipzig erstmal gemeinsam für den HFC in der DDR-Oberliga auf dem Rasen. Doch so recht konnte sich keiner von ihnen mehr daran erinnern. Auch mussten sie lange überlegen, wann sie zuletzt gemeinsam mit dem HFC ein Spiel bestritten hatten. Es war der 3. Juni 1989, als die Hallenser in Zwickau auch dank des Führungstreffers von Dariusz Wosz und einer starken Leistung von Steffen Karl als Libero mit 3:1 gewannen. Seither waren sie nie mehr zusammen beim HFC aufgetreten. Bis zum Donnerstag im Stadion. Die zahlreichen Zuhörer staunten nicht schlecht, als ihnen bewusst wurde, dass sie quasi eine historische Stunde erlebten.

Dass die beiden im Sommer 1989 abrupt getrennt wurden, hing mit einem folgenschweren Auftritt von Steffen Karl in einer Eisbar im halleschen Süden zusammen, als ihm ein unbedachter Trinkspruch zum Verhängnis wurde. Der gerade zum Stammspieler aufgerückte Mittelfeldspieler fiel wegen einer angeblich geplanten „Republikflucht“, wie es damals hieß, in Ungnade. Er wurde vom HFC sofort suspendiert sowie vom Fußballverband für die erste und zweite Liga gesperrt. Auch das Buna-Kombinat, bei dem er pro forma angestellt war, entließ ihn. „Ich war über Nacht arbeitslos und ohne Einkommen“, schilderte der einstige Oberligaspieler seine damalige Notlage. Was folgte, war ein Husarenstück. Steffen Karl, der im November 1989 zur Armee eingezogen wurde, nutzte einen Urlaub, um im Januar 1990 im Westen sein Glück als Fußballprofi zu suchen. „Dass ich damit Fahnenflucht beging, war mir damals gar nicht so bewusst“, räumt er offenherzig ein. Trotz der Turbulenzen, die seine Karriere begleiteten, ist er mit sich im Reinen. „Ich bereue nichts“, so Steffen Karl, der gut vernetzt ist und noch immer Kontakt zu vielen ehemaligen Mitspielern hat.

Langeweile kam jedenfalls in seinem Leben nie auf. Mit Borussia Dortmund holte er 1993 den Uefa-Cup. Als Profi tingelte er danach durch halb Europa, sogar bei ManCity hinterließ er seine Visitenkarte. Zuletzt kickte er in seinem Wohnort bei Viktoria Einsiedel. Zwischendurch geriet Karl in den Strudel eines Wettskandals. Seit dem Ende seiner Profi-Karriere betreibt er auch in Zusammenarbeit mit Wosz eine Fußballschule. Stoff genug für einen Hollywood-Film oder ein Buch. „Meine Erlebnisse würden bestimmt mehrere Bände füllen“, flachste „Eisen-Karl“, der eigentlich nur eine Saison lang in der Oberligaelf der Hallenser mitspielte, aber bei den HFC-Fans bis heute ein Stein im Brett hat. Als „Zauber-Maus“ hat auch Dariusz Wosz, der beim VfL Bochum und mit Hertha BSC etliche Erfolge feierte, die Fußballanhänger verzückt. Er führte in der letzten Oberliga-Saison 1990/91 sogar die Punktwertung in der fuwo-Bestenliste an, was er zum Erstaunen der Besucher selber nicht mehr wusste. Kein anderer HFC-Spieler hat das je erreicht. Und „Derek“ ist auch der einzige Spieler der Rot-Weißen, der das Trikot von beiden deutschen Nationalmannschaften trug. Als Nachwuchstrainer in Bochum hatte er einst auch die heutigen Auswahlspieler İlkay Gündoğan, Leon Goretzka und Lukas Klostermann unter seinen Fittichen. Was das Abschneiden der Nationalelf bei der Fußball-EM betrifft, sind beide eher skeptisch. „Die Vorrunde schaffen wir vielleicht noch, doch danach wird es sehr eng“, glaubt Dariusz Wosz. Und was den fehlenden eigenen Nachwuchs auch beim Drittlisten HFC angeht, da plädiert er dafür, wie in Magdeburg wieder eine Reservemannschaft aufzubauen. „Damit haben wir früher doch gute Erfahrungen gemacht“, so der Ex-Profi, der immer noch bei Hallen-Turnieren dem Ball nachjagt. Dicht umringt mussten die beiden danach Autogramme geben oder sich auf Fotos „verewigen“ lassen. Nach über 30 Jahren war es für sie eine geglückte Rückkehr an die alte Wirkungsstätte. Und irgendwie war es an diesem Nachmittag, als seien sie nie weg gewesen …

Zum Vormerken: Die Ausstellung zur Geschichte des HFC im Businessbereich des Stadions ist nur noch am Dienstag und am Donnerstag, jeweils von 16 bis 20 Uhr, geöffnet. Am letzten Ausstellungstag am 11. Januar erwarten wir ab 16 Uhr die HFC-Legende Wolfgang Schmidt, den früheren Mannschaftskapitän Manfred Fülle sowie HFC-Urgestein Toni Lindenhahn und den Nachwuchstrainer Patrick Mouaya.