Am 9. Oktober jährt sich zum dritten Mal der feige Mord an Jana Lange und HFC-Fan Kevin Schwarze aus Merseburg. Auch der Fanclub „Die Domfalken“ hält die Erinnerung an die Opfer wach. Die Eltern haben den Verlust ihres Sohnes Kevin noch immer nicht verwunden.

Diese feige Tat ist immer noch unfassbar: Es ist der 9. Oktober 2019, eigentlich ein ganz normaler Mittwoch in Halle. Zur Mittagszeit betritt Kevin Schwarze einen Imbiss in der Ludwig-Wucherer-Straße, um sich einen Döner zu kaufen. Wenig später taucht plötzlich eine seltsame Gestalt, martialisch gekleidet und mit einer Waffe in der Hand an der Tür auf. Einige Gäste fliehen vor Schreck aus dem Kiez-Döner. Der Lehrling aus Merseburg versucht, sich hinter einem Kühlschrank zu verstecken. Er weint und fleht um sein Leben. Es hilft ihm nichts. Der Eindringling, ein von Hass erfüllter Antisemit und Rassist aus dem Mansfelder Land, streckt Kevin Schwarze mit mehreren Schüssen nieder. Eiskalt und ohne Gefühlsregung löscht er das Leben eines jungen Mannes aus, der gerade in einer Malerfirma gefasst hatte. Und der als HFC-Anhänger im Fanclub „Die Domfalken“ eine sportliche Heimstätte gefunden hatte, in der er sich wohl und gut aufgehoben fühlte. „Es war für uns alle ein Schock, als wir von seinem Tod erfuhren. Vor allem, weil das Ganze völlig sinnlos war“, so der Fanclub-Vorsitzende Markus Lange. Er wird gemeinsam mit Freunden des unschuldigen Opfers wie seither immer am 9. Oktober wieder Blumen am Grab von Kevin Schwarze auf dem Friedhof in Merseburg niederlegen. „Geliebt und unvergessen in unseren Herzen“ steht auf dem Grabstein des HFC-Fans, der leider nur 20 Jahre alt wurde.

Auch für den früheren HFC-Fußballer Tom Persich, der 1991 in der Europapokal-Elf der Rot Weißen bei Torpedo Moskau stand, hat sich der 9. Oktober ins Gedächtnis eingebrannt. Plötzlich rückte der Fußball, seine große Leidenschaft, völlig in den Hintergrund. An jenem Tag vor drei Jahren hatte der skrupellose Gewalttäter nur unweit von Persichs Wohnung im Paulusviertel einen Anschlag auf die Synagoge verübt. Er war zum Glück gescheitert, weil die Tür in dem voll besetzten jüdischen Gebetshaus seinen Schüssen aus einem selbstgebauten Gewehr standhielt. Nach dem fehlgeschlagenen Angriff erschoss er aus Frust eine 40-jährige Frau, die zufällig die Straße entlanglief, und danach den HFC-Anhänger. „Kurz vor der Tat war ich mit meiner Freundin und unserem Baby noch spazieren. Als wir wieder zu Hause ankamen, war es noch ruhig. Wenig später hat es dann geknallt“, erinnert sich Tom Persich genau an die gespenstische Szenerie, so als wäre es erst gestern gewesen. Ihn beschleicht auch immer noch ein beklemmendes Gefühl, wenn er an der Stelle vorbeikommt, an der der Täter die Passantin ohne ersichtlichen Grund getötet hat. „Es hätte auch uns erwischen können“, fügt der Familienvater nachdenklich an.

Bei seinem Prozess erklärte der rechtsextremistische Attentäter auf Nachfrage der Richterin, dass er den jungen Mann im Döner-Laden wegen dessen schwarzer Haare für einen „Nahöstler“, also einen Muslimen, gehalten habe. Und die seien nach den Juden seine „Sekundärziele“. Es sei „ein Fehler“ gewesen, ihn zu erschießen, ließ der Rassist und Judenhasser vor dem Oberlandesgericht  so etwas wie einen Anflug von Reue erkennen. Kaum ein Trost für die getrennt lebenden Eltern von Kevin. Sie können den sinnlosen Tod ihres Sohnes bis heute nicht richtig begreifen. „Ihnen wurde regelrecht der Boden unter den Füßen weggerissen. Seine Mutter geht jeden Tag auf den Friedhof zum Grab ihres Sohnes“, weiß Markus Lange, der mit den „Domfalken“ hilft, wo er kann. Auch Kevins Vater, von Beruf Gerüstbauer, wurde durch das tragische Ereignis aus der Bahn geworfen. Eine Zeitlang plagten ihn Zweifel, ob sein Leben überhaupt noch einen Sinn macht. Er war froh und stolz darauf, dass sein Sohn damals gerade nach einem Praktikum eine Ausbildung als Malerlehrling begonnen hatte. Er war es auch, der mit Kevin zu den Spielen des HFC gegangen ist. Anfangs ist er mit seinem Sohn noch mitgefahren. Dann hatte Kevin Freunde im Merseburger Fanclub gefunden. Mit ihnen ist sein Sohn auch zu Auswärtsspielen mitgefahren. „Die haben ihn beschützt. Wir hatten nie Angst, dass was mit ihm passiert“, sagte er beim Prozess, der sich vor zwei Jahren über fünf Monate erstreckte, ehe am 21. Dezember 2020 ein Urteil erging.

Der inzwischen 30 Jahre alte Täter wurde wegen zweifachen Mordes und 68 Mordversuchen zu lebenslanger Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. In dem Prozess, der deutschlandweit für Aufstehen sorgte, offenbarte sich sein verqueres Weltbild und seine gestörte Persönlichkeit. Sozial abgeschottet im heimischen Kinderzimmer saugte er aus dem Internet all die gängigen Fantastereien von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung und dem Austausch der Bevölkerung in Deutschland gegen Muslime; Schwarze und Juden auf. Ihnen gibt er auch die Schuld daran, dass er als weißer Mann einfach keine Freundin abbekommen habe. Als Kämpfer in diesem „Rassenkrieg“ wollte er mit der Erstürmung der Synagoge in Halle am höchsten jüdischen Feiertag, dem Jom Kippur, und der Ermordung möglichst vieler Juden ein Fanal setzen. Mit der Parole „Alles Unheil kommt von den Juden“ hatten schon die Nazis den Holocaust mit der Vernichtung von rund sechs Millionen europäischen Juden begründet. Ein beispielloses Verbrechen, das der verurteilte rechtsextreme Attentäter natürlich leugnet.

Maximilian Hirsch, mit dem Kevin seit Kindertagen zusammen war, hat der schmerzliche Tod seines besten Freundes aufgewühlt und gewissermaßen auch wachgerüttelt. „Ich konnte nicht begreifen, wie jemand so etwas machen kann, warum jemand aus Hass tötet“, so der HFC-Fan, bei dem der Verlust des Freundes zugleich Wut und Trauer ausgelöst hat. Er engagiert sich seither in einem ehrenamtlichen Projekt gegen Rassismus und Antisemitismus, die auch beim HFC, der sich Werten wie Toleranz und Vielfalt verpflichtet fühlt, keinen Platz haben – im und außerhalb des Stadions. Maximilian Hirsch wird am 9. Oktober wieder am Grab von Kevin stehen, eine Rose ablegen und an die schöne Zeit denken, die die beiden HFC-Fans gemeinsam verbracht haben.

Hinweis: Der 3. Gedächtniscup unter dem Motto „Nie wieder – Gemeinsam gegen das Vergessen“ mit 16 Freizeitteams findet am 9. Oktober ab 13 Uhr auf dem Kunstrasenplatz am Sandanger statt.