Mit einem letzten Applaus der etwa 500 Anwesenden von der Haupttribüne für sein Lebenswerk nach Aufforderung von Trauerredner Wolfgang Schmidt, bewegenden Bildern und den Klängen von „You’ll never walk alone“ nahm die HFC-Familie am Freitagabend emotional Abschied von Vereinslegende Bernd Bransch.

Die Rede des langjährigen Weggefährten und Mitspielers im Wortlaut:

Ein Fußballer des Halleschen FC schießt sein Land im entscheidenden Qualifikationsspiel zur ersten und einzigen WM-Teilnahme, führt die Nationalmannschaft während der Endrunde beim historischen Sieg gegen den späteren Weltmeister als Kapitän aufs Spielfeld und wird im gleichen geschichtsträchtigen Jahr zum Fußballer des Jahres gewählt.

Was sich heute nach einem wunderschönen Märchen der Brüder Grimm oder einer fantastischen Fiktion anhört, war vor 48 Jahren stolze Realität. Bernd Bransch war zweifellos eine der größten Persönlichkeiten seiner Zeit, ein weithin populärer und geschätzter Repräsentant der Stadt Halle und des HFC. Der unumstrittene Anführer einer beinahe goldenen Generation hat am 11. Juni 2022 die Augen geschlossen. Wir verneigen uns vor dem großartigen Sportler, langjährigen Kapitän, Rekord-Nationalspieler, ehemaligen Präsidenten und vor seinem Lebenswerk.

Liebe Familienmitglieder,

liebe Antje,

liebe Angehörige,

liebe Weggefährten,

liebe Fans und Trauernde,

am 24. September in Halle an der Saale 1944 geboren entdeckte Bernd Bransch in entbehrungsreichen Nachkriegsjahren schon mit Kindesbeinen seine Leidenschaft für den Fußball. Gemeinsam mit seinem langjährigen Freund, Michael Gipser, jagte er in den Straßen seiner Heimatstadt und am Stadion, die Kassenhäuschen dienten als Tore, dem runden Leder hinterher. Er schloss sich bereits als Siebenjähriger der BSG Motor Süd Halle an und wollte laut Überlieferung mangels Talent schon die Töppen an den berühmten Nagel hängen. Er tat es zum Glück nicht und setzte seine sportliche Laufbahn zunächst beim SC Wissenschaft und schließlich beim HFC-Vorgänger SC Chemie Halle fort. Wenige Tage nach seinem 19. Geburtstag kam er erstmals in der höchsten Spielklasse zum Einsatz und war fortan in 14 Jahren Oberhaus aus der DDR-Oberliga nicht mehr wegzudenken.

Bernd Bransch war zweifellos ein Paradebeispiel dafür, wieviel man mit eiserner Disziplin, unbändigem Ehrgeiz und bemerkenswertem Fleiß erreichen kann. Was vor ihm bereits Mannschaftskamerad Klaus Urbanczyk, ein Perfektionist des Sliding Tackling schaffte, wurde dem „Branscher“ 1968 als 24-Jähriger erstmals zuteil: Er wurde zum Fußballer des Jahres gewählt. Eine Auszeichnung, die angesichts der riesigen Konkurrenz zahlreicher Top-Spieler einem Ritterschlag glich.

Beim Halleschen FC Chemie stieg Bernd in Lichtgeschwindigkeit zum Führungsspieler auf. Das lag nicht zuletzt an einer seltenen Mischung aus unfassbar konstanter Leistung und großartiger Selbstreflektion. Der „Lange“, wie wir ihn nannten, war ein gänzlich anderer Spielertyp als andere Weltklassespieler seiner Zeit a la Beckenbauer oder Dixi Dörner. Er legte wenig Wert auf Raffinesse, Eleganz oder Kabinettstückchen. Der Branscher definierte sich über Kompromisslosigkeit, Einstellung, Verantwortung und Athletik. Er war kein Künstler, er war ein Macher. Die personifizierte Zuverlässigkeit eben. Tatsächlich kann ich mich in all den gemeinsamen Jahren auf dem Rasen an kein einziges Spiel erinnern, in dem der Lange versagt oder einen spielentscheidenden Bock geschossen hätte. Formkrisen gab es bei einem wie ihm ebenso wenig wie Lustlosigkeit auf intensives Training. Bernd Bransch ging voran. Immer!!!

Zusammen mit Klaus Urbanczyk wurde der Branscher zum Anführer einer hoffnungsvollen Generation beim Halleschen FC. Wir wurden nicht so gefördert wie andere Clubs mit Staatsnähe, hatten somit oft nicht die individuelle Qualität anderer Mannschaften. Trotzdem gelang uns 1971 das Kunststück, Dritter der DDR-Oberliga zu werden und uns für den Europapokal zu qualifizieren. Das tragische Ende dieses kurzen Auftritts auf internationaler Bühne ist weithin bekannt. Der verheerende Hotelbrand in Eindhoven beendete mit zeitlicher Verzögerung eine Ära Hochtalentierter, ehe sie richtig begonnen hatte. Der tadellose Charakter der ehrlichen Haut Bernd Bransch war sogar in der Hölle von Eindhoven präsent. Als Kapitän sollte Bernd  in einem überdimensionalen Schutthaufen nach Sachen seiner Teamkollegen suchen und nahm mich als damals jungen Spieler mit. Zwischen all dem Gestank verbrannter Reste fand ich eine fast unversehrte Geldbörse mit allerlei Dollar, Gulden und D-Mark. „Schmeiß es wieder hin, das gibt nur Ärger und gehört sich nicht.“ Ich wagte nicht zu widersprechen. Zu groß war der Respekt.

Während unsere erfolgreiche Mannschaft auch durch die Folgen der Verletzungen von Eindhoven auseinanderbrach und schließlich abstieg, sah der treue Bernd Bransch nach Olympia-Bronze 1972 seine Chancen auf die WM-Teilnahme 1974 gefährdet. Für ein Jahr wechselte er deshalb schweren Herzens zum FC Carl Zeiss Jena, eroberte im Star-Ensemble sofort einen Stammplatz als Libero und wurde Vizemeister und FDGB-Pokalsieger. Ein Titel, der ihm mit seinem Heimatverein nie vergönnt war. Doch es war längst nicht der letzte große Erfolg in seiner eindrucksvollen Laufbahn.

Der nächste Karriereschritt war die Weltmeisterschaft 1974. Bernd als Kapitän der Nationalmannschaft machte die Qualifikation zur Chefsache. Mit zwei Freistoßtoren und seiner linken Klebe zum 2:0-Endstand gegen Rumänien führte der Branscher sein Team höchstpersönlich in Richtung Weltmeisterschaft. Unvergessen, wie er dort seine Jungs zum 1:0 Sieg gegen den späteren Weltmeister führte.  Dass der Handschlag zwischen Bernd Bransch aus Halle und Kapitäns-Kollege Franz Beckenbauer aus München noch viele Jahrzehnte danach als Symbol schlechthin für dieses deutsch-deutsche-Duell sein würde, daran dachte der Lange mit Sicherheit nicht. Oder es war im schlichtweg egal. Er war Sportler mit Leib und Seele, wollte gewinnen und nicht Politik machen. Von der Zeit bei der WM mit all ihren Begleiterscheinungen hat Bernd  nach Rückkehr zum HFC übrigens herzlich wenig berichtet. So war er, weder besonders redselig noch selbstgefällig. Er war Pragmatiker. Am liebsten machte er die Dinge mit sich aus und nahm sich selbst nie so wichtig.

Obwohl Bernd ganz gewiss kein Rebell war und nie als Querulant in Erscheinung trat, nutzte er sein Standing und seine Akzeptanz auch bei Vorgesetzten, wenn es galt, Mitstreiter in Schutz zu nehmen. Dazu gehörte eine große Portion Mut und ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal wurde die bei allmächtigen Funktionären ohnehin nicht sonderlich beliebte Fußballmannschaft nach dem 0:0 zum Auftakt gegen Brasilien von DDR-Sportchef Manfred Ewald kritisiert. Das ließ Bernd nicht einfach so stehen. Höflich, aber energisch wies er darauf hin, dass das Turnier gerade erst begonnen habe und auch andere Medaillengewinner nicht im Hurra-Stil in die Wettkämpfe gestartet waren.

Sein Wort hatte Gewicht. Das galt wenig später im November 1976 auch für die Flucht der jungen Hallenser Norbert Nachtweih und Jürgen Pahl. Auf Weisung der Parteileitung wurden wir als Mannschaft zusammengetrommelt, die Abtrünnigen als „Verbrecher“ bezeichnet. Wieder ergriff Bernd  als Führungspersönlichkeit das Wort. „Es kann schon sein, dass sie uns im Stich gelassen haben. Aber Verbrecher sind sie deswegen nicht.“ Noch heute kann ich mich an diese Worte erinnern. Sein Mumm flößte uns allen höchsten Respekt ein.

Bernd war jedoch nicht nur Sportler und Fußballer, vor allem war er ein liebevoller Ehemann, Vater und Opa. Jahrelang hat er mich damit aufgezogen, dass ich seiner Tochter Katrin ein gemeinsames Drachensteigen versprochen hatte – ich habe es leider nie einlgelöst.

Als der gefühlt ewige Kapitän Präsident des Halleschen FC wurde, führte er seinen Verein in den Wirren der Wende zum ersten und bisher einzigen Mal in die 2. Bundesliga. Auch in Verantwortung für die Vereinsgeschicke war sein Ehrgeiz ungebrochen, sein Streben nach dem Optimum täglich greifbar. Das galt für sein Studium ebenso wie für die Aufgabe als Stadtrat für Jugend und Sport. Alle Aufgaben, die der Branscher übertragen bekam, packte er voller Hingabe an und versuchte, das Bestmögliche daraus zu machen. Er konnte sich wie kaum ein Zweiter fokussieren und auf das Wesentliche konzentrieren, ohne je ein Hehl aus seiner Person zu machen. Ob als Libero, Kapitän, Präsident, Manager oder Stadtrat.

Bernd hat nicht nur aus seinen eigenen Tugenden das Maximum herausgeholt mit seiner stets professionellen Einstellung, unbändiger Disziplin und großem Kämpferherzen. Er hat als Anführer auch Mitspieler zu besseren Leistungen getrieben. Immer mit der unausgesprochenen Gewissheit: Ich bin da, halte Euch den Rücken frei. Exemplarisch erinnere ich mich an ein Heimspiel gegen den 1.FC Magdeburg. Als junger Kerl führte ich den Ball auf Höhe Mittellinie und wusste nicht so recht, wohin damit. Wenige Meter hinter mir stand der Lange und schrie aus Leibeskräften „Lauf, Lauf, Lauf!!!!“ Er trieb mich wild gestikulierend und lautstark förmlich die Linie entlang – bis in den Strafraum, wo der Querpass dann zum Tor führte. Ohne die Order meines Chefs wäre ich auf diese Idee und den Blick für den freien Raum wohl niemals gekommen. Er nahm folglich in jeder Situation Einfluss, ohne selbst brillieren zu wollen.

Der Kicker erwies sich beim Nachruf auf Bernd Bransch endlich als Fachmagazin. Er betitelte ihn als „Mister Zuverlässig“. 357 Pflichtspiele mit 67 Toren für den Halleschen FC stehen in seiner Vita, dazu 72 Länderspiele, Olympia-Gold und –Bronze, dazu zwei Ehrungen als DDR-Fußballer des Jahres. Damit gehört Bernd Bransch zweifellos zu den größten Persönlichkeiten des Fußballs und der Stadt Halle. Einen selbstlosen Anführer seines Formats hat es nie wieder gegeben beim HFC. Sogar Schicksalsschläge wie den frühen Tod seiner Frau und die schwere Krankheit in seinen letzten Lebensjahren hat Bernd stets mit Würde getragen und niemals gejammert.

„Langer“, Du hast den HFC und die Stadt Halle in Deinen Funktionen geprägt wie nur wenige andere. Wir als einstige Weggefährten und auch die jetzigen Generationen sind nun aufgefordert, Dein Vermächtnis fortzuführen und Dich als Persönlichkeit immer in ehrender Erinnerung zu behalten. Du hast vielen von uns in aller Bescheidenheit gezeigt, was möglich ist im Leben.

Danke für Alles, Branscher.

Auch wenn das bei einer Trauerfeier nicht üblich ist, bitte ich Euch Anwesende nun zum Abschluss euch zu erheben und unserem Kapitän ein letztes Mal zu applaudieren. Für alles, was er geleistet hat. Er hat sich den Beifall von den Rängen in seinem Stadion, was zu seinem Wohnzimmer wurde, mehr als verdient.