Jens Adler hat vor 30 Jahren die aufregendste Zeit seiner Laufbahn erlebt. Im September 1990 war er der letzte Nationalspieler der DDR. Mit 18 schaffte er in Halle den Sprung von der Bezirksliga in die Oberliga. Heute kümmert sich „Adel“ um den Nachwuchs des HFC.

Die Zahl 273 hat für Jens Adler eine besondere Bedeutung. Es ist die Nummer, unter der die hallesche Torwart-Ikone in die Annalen des deutschen Fußballs eingegangen ist. Das geschah vor 30 Jahren, am 12. September 1990, bei einem Fußballspiel der DDR-Auswahl in Brüssel gegen Belgien. Beim Stand von 2:0 für die Mannschaft von Trainer Eduard Geyer wurde der damals 25-jährige Schlussmann des Halleschen FC kurz vor Schluss eingewechselt. Es war sein erstes und einziges Auswahlspiel. Nur 102 Sekunden dauerte sein Einsatz. „Ich musste keinen Ball parieren. Dennoch waren es die aufregendsten zwei Minuten in meiner Laufbahn“, schwärmt der nunmehr 55-jährige Hallenser bis heute von dieser historischen Begegnung. Eigentlich sollte es ein EM-Qualifikationsspiel sein, doch durch die Deutsche Einheit wurde die Partie hinfällig. So wurde das Halali der DDR-Auswahl zu einem Freundschaftsspiel und der HFC-Torwart zum letzten DDR-Nationalspieler, dem 273. in der Geschichte des DDR-Fußballs, die im November 1990 mit dem Beitritt des neu gegründeten Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) zum Deutschen Fußballbund (DFB) zu Ende ging.

Jens Adler ist in seiner Karriere nichts in den Schoß gefallen. Er besaß weder ein überdurchschnittliches Talent, noch verfügte er mit seinen 1,82 Metern Körpergröße über das Gardemaß eines Keepers. Mit Fleiß und Disziplin hat es „Adel“, wie er von Freunden und Fans gerufen wird, trotzdem auf fast 200 Spiele für den HFC gebracht und es bis in die 2. Bundesliga geschafft. Als Steppke versuchte er sich zuerst beim Boxen. „Doch schon im ersten Kampf habe ich die Fresse voll bekommen, da war Schluss“, erinnert sich Adler schmunzelnd an die schmerzhaften Anfänge seiner sportlichen Laufbahn. Ein Nachbarjunge nahm ihn schließlich 1974 als Neunjährigen zum HFC mit auf den Sandanger. Dort wurde er gleich ins Tor gestellt. Und so begann seine einzigartige Karriere, die von Höhen und Tiefen und immer wieder auch von ungeahnten Wendungen gekennzeichnet ist. „Als Straßenfußballer hätte ich mir niemals träumen lassen, eines Tages im Trikot der Nationalmannschaft auflaufen zu dürfen“, ist er bis heute stolz auf seine sportliche „Eintagsfliege“ vom September 1990. Sie bescherte ihm auch einen Platz auf der Liste der insgesamt zwölf DDR-Auswahlspieler des HFC, auf der solche Fußball-Legenden wie Bernd Bransch, Klaus Urbanczyk, Werner Peter, Dieter Strozniak und Dariusz Wosz zu finden sind.

Die „Zaubermaus“, wie Wosz später in seiner erfolgreichen Profikarriere beim VfL Bochum und Hertha BSV genannt wurde, gehörte nicht nur wie er zum letzten Fußballaufgebot der DDR. Der Ausnahmefußballer stand auch in der HFC-Elf, die 1991/92 völlig unerwartet den Sprung in die 2. Bundesliga geschafft hat. „Das war eine unvergessliche Zeit für mich“, so „Adel“. Ähnlich überraschend vollzog sich sein Oberliga-Debüt im Februar 1984. Er war damals 18 und hatte gerade eine Halbzeit in der Zweiten des HFC in der Bezirksliga-Partie gegen Dynamo Halle-Neustadt gehalten. Zur Pause wechselte ihn sein Trainer Helmut Wilk plötzlich aus. „Ich sollte zum Klubchef Bernd Bransch kommen“, erzählt Adler. Der habe ihm dann offenbart, dass beide Stammtorhüter in der Oberligaelf ausgefallen wären und ihn gefragt, ob er sich zutrauen würde, am Nachmittag das HFC-Tor zu hüten. „ich habe gleich ja gesagt. Diese Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen“, ist ihm diese Szene noch genau im Gedächtnis haften geblieben.

Beim torlosen Remis gegen Frankfurt/Oder machte Adler seine Sache so gut, dass er vom „Sportecho“ sogar in die „Oberligaelf des Tages“ gewählt wurde. „Das hat mir unheimlich gut getan“, beschreibt Halles Torwart-Ikone seinen Oberliga-Einstand beim HFC. Er durfte die ganze Rückrunde ran, doch den Abstieg in die DDR-Liga konnte auch er nicht verhindern. Er weiß noch: „Es war brutal schwer, wieder nach oben zu kommen.“ Drei Jahre hat es gedauert. Es waren seine harten „Lehrjahre“. Dazu zählt auch das Ausscheiden im Europapokal gegen Torpedo Moskau. Dass das Leben kein Wunschkonzert ist, bekam Jens Adler vor allem zu spüren, als die Rot-Weißen nach nur einem Jahr 1992 wieder aus der 2. Bundesliga absteigen mussten. Die nächste „Eintagsfliege“ für Adler. Es sollte nicht seine letzte sein. Als er nach dem finanziellen Absturz seines Heimatvereins für zwei Jahre zu Hertha BSC ging, hat man ihm lediglich im letzten Spiel 1997 einen 20-minütigen Kurzeinsatz gegönnt. So blieb er der einzige der 14 DDR-Auswahlspieler vom letzten Aufgebot 1990, der nicht in der 1. Bundesliga gespielt hat. „Adel“ blickt dennoch ohne Groll auf seinen Abstecher nach Berlin zurück: „An Stammkeeper Fiedler war eben kein Vorbeikommen. Immerhin habe ich einmal vor 75000 Zuschauern im Olympia-Stadion gespielt. Das war ein tolles Gefühl.“ Schließlich ist auch sein Sohn dort im Verein hängen geblieben. Er arbeitet für die „alte Dame“  Hertha.

Die HFC-Fans, zu denen Adler bis heute einen guten Draht hat, haben ihm auch verziehen, dass er nach seiner Rückkehr an die Saale ausgerechnet beim Stadtrivalen VfL anheuerte. Sein Herz hing natürlich immer am HFC. „Aber ich musste ja irgendwie meine Familie ernähren“, so der ehemalige Profi, der damals nebenbei noch den Beruf eines Bürokaufmanns erlernte. „Das hat sich ausgezahlt“, sagt der verheiratete Familienvater, der sich seit 2001 bis 2016 fast ununterbrochen um das Torwart-Training im Profibereich des HFC gekümmert hat. Er gab damals einem sicheren Job bei der Stadtwirtschaft den Vorzug. „Die Arbeit auf dem Wertstoffhof in der Hordorfer Straße macht mir Spaß und ich fühle mich dort richtig wohl“, sagt Adler, der sich mit Kraftsport und Radfahren fit hält. Zwei- bis dreimal in der Woche radelt er zum Sandanger, wo er sich als Trainer um den Torwart-Nachwuchs des HFC kümmert.

Wie schnell sich im Leben alles ändern kann, das bekam Adler vor sechs Jahren bei einem Grubenunglück in Amsdorf vor Augen geführt. Er war damals Fahrer einer Pionierraupe bei Romonta, als in der Nacht zum Dreikönigstag im Tagebau ein gewaltiger Erdrutsch schlimme Verwüstungen nach sich zog. Tonnenschwere Abbraumtechnik knickte wie Streichhölzer ein. „Zum Glück hatte ich in dieser Nacht keine Schicht“, sagt er im Rückblick auf das schreckliche Ereignis. Wie durch ein Wunder kam keiner der Leute in der Grube zu Schaden. Ihm war dennoch der Schrecken mächtig in die Glieder gefahren. Und er musste lange um seinen Arbeitsplatz bangen. „In solchen Momenten wird einem bewusst, dass es mehr im Leben gibt als Fußball.“